Da im Blut einer schwangeren Frau auch DNA des ungeborenen Kindes (sog. zellfreie DNA) zirkuliert, ist man seit 2012 in der Lage, aus einer simplen Blutprobe ab der 10. Schwangerschaftswoche auf genetische Eigenschaften des Kindes zu schliessen. Der Aufwand für diese sogenannte Sequenzierung ist gewaltig, sowohl im Labor als bei der computerunterstützten Auswertung, weshalb nur Speziallabors die entsprechenden Investitionen tätigen können. Das Verfahren wird auch als NIPT bezeichnet (non-invasive prenatal testing = nichtinvasive vorgeburtliche Untersuchungen).
Falls nach Zählung von Millionen von Bruchstücken das Chromosom 21 übervertreten ist, erlaubt dies mit hoher Sicherheit den Schluss, dass das ungeborene Kind drei statt zwei Kopien besitzt und damit eine Trisomie 21 (Down-Syndrom, früher Mongolismus genannt) aufweist.
Links: mütterliches Blut mit Chromosomen der Mutter (grün-gelb) und normalem Anteil kindlicher Chromosomen 21 (rot-blau). Rechts: Bei einem ungeborenen Kind mit Trisomie 21 findet man im Blut der Mutter einen Überschuss an kindlichen (rot-blauen) Chromosomen Nr. 21.
Von unserer Praxisgemeinschaft angebotene Tests
- Panorama-Test (Labor Genetica, Zürich / Natera, Kalifornien) - untersucht nur besonders aussagekräftige Anteile der Chromosomen (SNPs, single nucleotid polymorphisms) und vergleicht sie mit jenen der Mutter und des Vaters (deshalb wird, wenn möglich, vom Vater ein Wangenabstrich entnommen). Nicht geeignet nach Eizellspende im Ausland.
Basisuntersuchung: Trisomien 21, 18 und 13, Triploidie, Turner-Syndrom - Kosten 950.-- Fr.
NEU seit Juli 2015: Die Basisuntersuchung wird von der Krankenkasse übernommen, sofern der Ersttrimester-Bluttest ein Trisomie-Risiko höher als 1:1000 ergab. Sonst leistet die Zusatzversicherung evt. einen freiwilligen Beitrag.
ZUSATZUNTERSUCHUNGEN seit Juli 2014: Test auf sog. Mikrodeletionssyndrome (DiGeorge, Prader-Willi, Angelman, Cri-du-chat, 1p36) - Kosten zusätzlich 230.-- Fr.
Die fünf untersuchten Mikrodeletionssyndrome sind schwerwiegend und betreffen insgesamt eines von tausend Neugeborenen. Wer sich für einen neuen Bluttest entscheidet, wird mehrheitlich auch diese Zusatzuntersuchung wünschen, es sei denn, man möchte lediglich eine Trisomie 21 ausschliessen.
- PrenDia-Test (Labor Genesupport, Niederwangen) - eignet sich auch für Frauen ohne genetische Verwandschaft mit dem Kind, d.h. solche, die sich im Ausland einer Eizellspende unterzogen haben. Mit der Methodik des PrenDia-Tests werden auch Probleme anderer Chromosomen als 21, 18, 13 und X erkannt; dies kann einen Vorteil darstellen, aber auch zu Verunsicherung führen, wenn harmlose Veränderungen des Mutterkuchens entdeckt werden, bei denen das Kind gesund ist. Kosten 1'350.-- Fr.
Fakten - und offene Fragen
- Die Tests stellen grundsätzlich einen erheblichen Fortschritt dar und erweitern die sog. nichtinvasiven (ohne Punktionsnadel und damit ohne Restrisiko einer Fehlgeburt auskommenden) Erkennungsmöglichkeiten von Erbgutstörungen. Die Experten sind sich mittlerweile einig, dass alle Schwangeren über die Verfügbarkeit von NIPT aufgeklärt werden müssen.
- Die Tests können ab 9 bis 12 vollen Schwangerschaftswochen in Auftrag gegeben werden und dauern ca. zwei Wochen. Die Kosten (s. oben) werden vorläufig nicht von der Krankenkasse übernommen (bitte klären Sie ab, ob Ihre Zusatzversicherung freiwillig einen Teil der Kosten übernimmt). Es werden 98-99% der Fälle von Trisomie 21 entdeckt, aber nicht alle; insbesondere sogenannte Mosaik-Trisomien werden nicht erfasst. Auch bei Zwillingen kann die Methode derzeit nicht eingesetzt werden. Ein abnormales Testergebnis sollte in jedem Fall mittels Fruchtwasserpunktion (nächstes Kapitel) verifiziert werden.
- Ein NIPT-Test ersetzt nicht den detaillierten Ultraschall mit 11-14 Wochen. Insbesondere die Messung der Nackentransparenz (NT, vorheriges Kapitel) ist weiterhin sinnvoll, weil dieses Warnzeichen auch auf andere Probleme als die Trisomie 21 hinweisen kann. Wir empfehlen, in der Regel den Ultraschall mit NT-Messung zuerst durchzuführen, nur schon um festzustellen, ob die Schwangerschaft noch in Ordnung ist. Erst dann werden wir mit der Schwangeren zusammen entscheiden, wie weiter vorzugehen ist (konventioneller Ersttrimester-Bluttest, neuer kostenpflichtiger Bluttest, direkt Fruchtwasserpunktion oder keine weiteren Untersuchungen).
- Die neuen Bluttests wurden für Schwangere mit hohem Risiko entwickelt und überprüft. Junge Schwangere mit normaler Nackentransparenz haben ein derart geringes Risiko, dass der neue Bluttest unter Umständen fast ebenso viele falsch positive Ergebnisse liefert wie tatsächliche Probleme erkennt. Jungen Schwangeren mit normaler Nackentransparenz empfehlen wir deshalb eher - nicht nur wegen der Kostenersparnis - in erster Linie den konventionellen Ersttrimester-Bluttest; dem informierten Wunsch nach direktem NIPT werden wir aber immer stattgeben.
- Mittelfristig wird man mit derselben Technik immer mehr Erbgutstörungen erkennen können. Wenn die Verfügbarkeit des Tests steigt und die Kosten sinken, dürfte der Test von der Krankenkasse übernommen werden (für die Krankenkassen resultiert netto eine Kostenersparnis, weil weniger Fruchtwasserpunktionen und Chorionbiopsien zu erwarten sind). Die ärztliche Beratung zu Beginn einer Schwangerschaft ist zweifellos noch komplexer und aufwändiger geworden.
- Unsere Praxisgemeinschaft bietet die neuen Bluttests seit 2012 in Zusammenarbeit mit unseren Partnerlabors an.
Ethische Überlegungen
Unsere Gesellschaft sagt breit abgestützt Ja zu vorgeburtlichen Untersuchungen (und damit in letzter Konsequenz zum Schwangerschaftsabbruch bei krankem Kind). Verteilungsstörungen des Erbguts wie die Trisomie 21 hängen massiv vom Alter der Mutter ab, weshalb viele ältere Mütter in grosser Sorge sind, ob ihr ungeborenes Kind gesund ist. Sämtliche Untersuchungen (Ultraschall, Blutprobe, Fruchtwasserpunktion) sind aber vollkommen freiwillig, und eine Minderheit verzichtet darauf und würde ein behindertes Kind in Kauf nehmen (was wir selbstverständlich respektieren). Es handelt sich um den alten Gegensatz zwischen «guter Hoffnung sein» und «ein (gesundes) Kind erwarten».
Der Bluttest bringt diesbezüglich nichts prinzipiell Neues, ausser dass die Untersuchung auf Trisomie 21 noch einfacher wird. Ethiker befürchten deshalb, dass - falls immer weniger Kinder mit Trisomie 21 geboren werden - diese Menschen noch weiter an den Rand der Gesellschaft gedrängt werden. Unserer Meinung nach soll die informierte Schwangere frei entscheiden können, welche Untersuchungen sie in Anspruch nimmt, und der Respekt gegenüber behinderten Menschen soll nicht von deren Zahl abhängen.